Emilia stand am Fenster ihres Zimmers und starrte hinaus in den regnerischen Nachmittag. Der Himmel war grau und trostlos, genauso wie ihre Stimmung. In ihrem Kopf wirbelten Gedanken und Zweifel durcheinander. Sie konnte sich nicht vorstellen, jemals wieder zu laufen, wie sie es vor ihrer Verletzung getan hatte.
„Emilia, kommst du zum Abendessen?“, rief ihre Mutter aus der Küche.
„Ja, gleich!“, antwortete Emilia, aber sie machte keine Anstalten, sich vom Fenster wegzubewegen. Ihre Mutter wusste, wie schwer es Emilia fiel, sich mit ihrer neuen Realität abzufinden, und ließ ihr Zeit.
Plötzlich klingelte es an der Tür. Emilia hörte, wie ihre Mutter öffnete und jemand herzlich begrüßte. Wenige Sekunden später klopfte es an ihrer Zimmertür, und Lukas, ihr bester Freund, trat ein.
„Hey, wie geht’s dir?“, fragte Lukas mit einem aufmunternden Lächeln.
Emilia drehte sich um und versuchte, sich zusammenzureißen. „Es geht so“, sagte sie und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder so laufen kann wie früher.“
„Natürlich kannst du das“, erwiderte Lukas entschlossen. „Es wird nur Zeit und Geduld brauchen. Und ich werde dir helfen.“
Emilia seufzte. „Es ist einfach so frustrierend. Ich habe das Gefühl, als ob ich alles verloren habe.“
„Das hast du nicht“, sagte Lukas beruhigend. „Du bist immer noch die talentierte Läuferin, die du immer warst. Du musst nur wieder an dich glauben.“
Emilia schaute ihn an und konnte nicht anders als zu lächeln. Lukas hatte diese besondere Gabe, sie aufzumuntern, egal wie schlecht es ihr ging.
„Danke, Lukas“, sagte sie leise. „Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde.“
„Du würdest es auch alleine schaffen, aber es ist einfacher, wenn man jemanden an seiner Seite hat“, antwortete Lukas mit einem Augenzwinkern. „Komm, wir setzen uns und machen einen Plan. Wie wäre es, wenn wir ein angepasstes Trainingsprogramm für dich entwickeln?“
Emilia nickte. „Das wäre großartig. Aber ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.“
„Keine Sorge, wir kriegen das hin“, sagte Lukas zuversichtlich. „Wir fangen langsam an und steigern uns Schritt für Schritt. Wichtig ist, dass du nicht aufgibst.“
Sie verbrachten den restlichen Nachmittag damit, einen Trainingsplan zu erstellen. Lukas hatte viele hilfreiche Ideen und Tipps, und Emilia spürte, wie ihre Hoffnung langsam zurückkehrte. Es würde ein harter Weg werden, aber sie war nicht allein.
In den nächsten Wochen hielt sich Emilia strikt an den Plan. Lukas war fast jeden Tag bei ihr, half ihr bei den Übungen und motivierte sie, wenn sie am liebsten aufgegeben hätte. Es war nicht leicht, und es gab Tage, an denen Emilia verzweifelte, aber Lukas‘ unerschütterlicher Glaube an sie gab ihr die Kraft, weiterzumachen.
Eines Nachmittags, nach einem besonders anstrengenden Training, setzten sich die beiden erschöpft auf eine Parkbank. Die Sonne schien warm und freundlich, und die Vögel zwitscherten fröhlich.
„Ich kann nicht glauben, dass wir schon so weit gekommen sind“, sagte Emilia und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Du hast großartige Fortschritte gemacht“, lobte Lukas. „Ich bin so stolz auf dich.“
„Danke, Lukas“, sagte Emilia dankbar. „Ohne dich hätte ich das nie geschafft.“
„Das stimmt nicht ganz“, widersprach Lukas. „Du hattest die ganze Zeit die Stärke in dir. Ich habe dir nur geholfen, sie wiederzufinden.“
Emilia lächelte und fühlte sich zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich glücklich. Sie wusste, dass der Weg noch lang war, aber sie war bereit, ihn zu gehen. Und mit Lukas an ihrer Seite konnte sie alles schaffen.
Der große Tag des Sportturniers rückte immer näher, und Emilia trainierte härter denn je. Doch trotz all ihrer Fortschritte wurde sie von Zweifeln und Ängsten geplagt. Was, wenn sie am Tag des Rennens nicht gut genug war?
Eines Abends, nur noch eine Woche vor dem Turnier, saßen Emilia und Lukas auf dem Rasen vor ihrem Haus und schauten in den sternenklaren Himmel.
„Ich habe Angst, Lukas“, gestand Emilia leise. „Was, wenn ich nicht gut genug bin? Was, wenn ich alle enttäusche?“
Lukas legte einen Arm um ihre Schultern. „Du wirst niemanden enttäuschen, Emilia. Du hast so hart gearbeitet und bist so weit gekommen. Egal, wie das Rennen ausgeht, du kannst stolz auf dich sein.“
„Aber was, wenn ich verliere?“, fragte Emilia mit zittriger Stimme.
„Dann hast du es wenigstens versucht, und das ist das Wichtigste“, antwortete Lukas. „Du bist nicht allein. Wir alle stehen hinter dir.“
Diese Worte gaben Emilia neuen Mut. Sie wusste, dass sie alles tun würde, um ihr Bestes zu geben, und dass es darauf ankam, dass sie es überhaupt versuchte.
Am Tag des Turniers herrschte große Aufregung. Die Tribünen waren voll, und die Läuferinnen und Läufer bereiteten sich auf ihre Rennen vor. Emilia stand nervös an der Startlinie und spürte, wie ihr Herz raste.
„Du schaffst das, Emilia!“, rief Lukas von der Seite des Spielfelds. „Glaub an dich!“
Emilia atmete tief durch und konzentrierte sich. Der Startschuss fiel, und sie begann zu laufen.